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Unerwarteter Ulkus

Unerwarteter Ulkus

Die Vorfreude auf eine Urlaubsreise nimmt ein abruptes Ende, wenn der Verreisende (schwer) erkrankt. Kann man aus diesem Grund die Reise gar nicht antreten, hilft eine abgeschlossene Reiserücktrittskostenversicherung. Hier kommt es jedoch immer wieder zu Streitigkeiten hinsichtlich des „Obs“ und des Umfangs der Einstandspflicht der Versicherung. Einen solchen Fall hat nun das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht mit dem Urteil vom 18.03.2024 (Az: 16 U 74/23) entschieden. In dem Fall war die Frage, was unter den Begriff einer „unerwarteten und schweren Erkrankung“ fällt, ein entscheidender Gesichtspunkt.

Darum geht es

Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn eine Pauschalreise (7. bis 22. Februar 2020) nach Kuba gebucht. Am 9.11.2019 stürzte die Ehefrau von einer Leiter. Dabei zog sie sich unter anderem eine Wunde am rechten Fuß zu. Am 21.11.2019 schloss der Kläger für alle Mitreisenden eine Reiserücktrittskostenversicherung bei der Beklagten ab. In den miteinbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) heißt es auszugsweise:

„1.2.1 Versicherungsschutz besteht für versicherte Personen oder Risikopersonen bei:

  1. a) Tod, schwerem Unfall oder unerwartet schwerer Erkrankung;

Eine unerwartet schwere Erkrankung liegt vor, wenn aus dem stabilen Zustand des Wohlbefindens und der Reisefähigkeit heraus überraschend konkrete Krankheitssymptome auftreten, die dem Reiseantritt entgegen stehen und Anlass zur Stornierung geben (z. B. Blinddarmentzündung, Herzinfarkt, Hörsturz oder überraschendes Nierenversagen u. ä.). Die Erkrankung ist schwer, wenn die vor der Stornierung ärztlich attestierte gesundheitliche Beeinträchtigung so stark ist, dass die Reise nicht planmäßig durchgeführt werden kann.

Unerwartet ist die Erkrankung dann, wenn sie bei Abschluss der Versicherung oder (bei bestehendem Jahresvertrag) bei Buchung der Reise nicht bekannt war.“

Zu der Voraussetzung der „unerwarteten und schweren Erkrankung“ hat der BGH bereits entschieden, dass diese AGB-rechtlich transparent und wirksam ist. Wir berichteten zu dieser BGH-Entscheidung mit dem Blogbeitrag vom 03.02.2023.

Bei einer ärztlichen Untersuchung der Ehefrau am 06.12.2019 wurden bei der Wunde am Fuß keine Anzeichen für eine Infektion festgestellt. In der Folge kam es jedoch zu einer Infektion und der Entstehung eines Ulkus am Fuß der Ehefrau. Am 15.01.2020 suchte sie die gefäßchirurgische Sprechstunde einer Klinik auf, wo der Ulkus diagnostiziert wurde. Vom 24. bis 31.01.2020 ließ sie in der Klinik eine Hauttransplantation vornehmen. Der Kläger stornierte am 26.01.2020 die Reise und meldete dies der beklagten Versicherung. Diese lehnte eine Zahlung jedoch ab. In erster Instanz wurde die auf Erstattung der Stornierungskosten gerichtete Klage abgewiesen.

Ulkus = schwere Erkrankung

In zweiter Instanz hatte der Kläger nun mehr Erfolg. Das Oberlandesgericht hielt zunächst fest, dass die Erkrankung der Ehefrau im Sinne der AVB schwer gewesen ist. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers sei eine Erkrankung dann „schwer“, wenn sie erheblich, gravierend oder von einigem Gewicht ist. Zur Feststellung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer einen Vergleich mit den in der Klausel aufgeführten Beispielen anstellen. Er wird aber insbesondere auch vertragszweckorientiert davon ausgehen, dass nicht allein das Ausmaß der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen ausschlaggebend ist. Vielmehr sei auch entscheidend, welche Auswirkungen diese Beeinträchtigungen – aus der objektiven Sicht eines verständigen Dritten – auf die Durchführung einer Reise wie der versicherten haben.

Gemessen hieran sei die Erkrankung der Ehefrau des Klägers erheblich. Bereits am 15.01.2020 wurde der Ulkus diagnostiziert. Aus einem weiteren Arztbericht vom 31.01.2020 folgt zwar, dass die Ehefrau zur ambulanten Weiterbehandlung entlassen worden ist. Es seien aber „ab sofort“ ein regelmäßiger Verbandswechsel, Wundkontrollen und eine Schonung für weitere zwei Wochen notwendig. Angesichts dessen habe die Ehefrau nicht wie geplant auf Kuba eine Busrundreise mit wechselnden Übernachtungsorten und weiteren Transferleistungen durchführen können.

Die gesundheitliche Beeinträchtigung sei auch schon vor der Stornierung der Reise ärztlich attestiert worden, wie in den AVB gefordert. Die Regelung könne nicht so verstanden werden, dass auch die „Reiseunfähigkeit“ vor der Stornierung hätte attestiert sein müssen. Hätte die Beklagte etwas anderes vereinbaren wollen, hätte sie die Reglung klarer formulieren müssen.

Auch unerwartet

Zudem sei die Erkrankung der Ehefrau auch unerwartet gewesen. Bei Abschluss der Reiserücktrittskostenversicherung am 21.11.2019 sei die Erkrankung nicht im Sinne der AVB positiv bekannt gewesen. Entscheidend ist der Kenntnisstand des Versicherungsnehmers über seinen gesundheitlichen Zustand und insbesondere, welche Informationen er von seinen Ärzten erhalten hat.

Bei einem Ulkus (= Geschwür) handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Zwar wäre der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden. Dies ändere jedoch nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurfte. Nach Aussage der Hausärztin gab es zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung am 06.12.2019 noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung. Wie der Kläger und seine Frau bereits bei Versicherungsabschluss am 21.11.2019 von dem Ulkus gewusst haben könnten, erschließe sich nicht.

Erfolg in zweiter Instanz

Das Oberlandesgericht sah den Anspruch des Klägers daher als gegeben an. Die geltend gemachten Kosten seien auch in voller Höhe „nachweislich vertraglich geschuldete Rücktrittskosten“. Das Gericht hielt hierzu fest, dass Reiseveranstalter sich vorbehalten dürfen, anstelle von Entschädigungspauschalen eine höhere, individuell berechnete Entschädigung zu fordern. Dann muss jedoch nachgewiesen werden, dass wesentlich höhere Aufwendungen als die jeweils anwendbare Entschädigungspauschale entstanden sind. Die Berufung hatte somit in vollem Umfang Erfolg.

Wenn wir mit diesem Beitrag Ihr Interesse geweckt haben, schauen Sie auch gerne in unsere weiteren Blogeinträge. Sollten Sie in einer ähnlichen Fallkonstellation selbst betroffen sein, melden Sie sich. Eine fernmündliche Ersteinschätzung seitens unseres Teams ist für Sie kostenfrei.

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Darum geht es

Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn eine Pauschalreise (7. bis 22. Februar 2020) nach Kuba gebucht. Am 9.11.2019 stürzte die Ehefrau von einer Leiter. Dabei zog sie sich unter anderem eine Wunde am rechten Fuß zu. Am 21.11.2019 schloss der Kläger für alle Mitreisenden eine Reiserücktrittskostenversicherung bei der Beklagten ab. In den miteinbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) heißt es auszugsweise:

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Unerwartet ist die Erkrankung dann, wenn sie bei Abschluss der Versicherung oder (bei bestehendem Jahresvertrag) bei Buchung der Reise nicht bekannt war.“

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Bei einer ärztlichen Untersuchung der Ehefrau am 06.12.2019 wurden bei der Wunde am Fuß keine Anzeichen für eine Infektion festgestellt. In der Folge kam es jedoch zu einer Infektion und der Entstehung eines Ulkus am Fuß der Ehefrau. Am 15.01.2020 suchte sie die gefäßchirurgische Sprechstunde einer Klinik auf, wo der Ulkus diagnostiziert wurde. Vom 24. bis 31.01.2020 ließ sie in der Klinik eine Hauttransplantation vornehmen. Der Kläger stornierte am 26.01.2020 die Reise und meldete dies der beklagten Versicherung. Diese lehnte eine Zahlung jedoch ab. In erster Instanz wurde die auf Erstattung der Stornierungskosten gerichtete Klage abgewiesen.

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In zweiter Instanz hatte der Kläger nun mehr Erfolg. Das Oberlandesgericht hielt zunächst fest, dass die Erkrankung der Ehefrau im Sinne der AVB schwer gewesen ist. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers sei eine Erkrankung dann „schwer“, wenn sie erheblich, gravierend oder von einigem Gewicht ist. Zur Feststellung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer einen Vergleich mit den in der Klausel aufgeführten Beispielen anstellen. Er wird aber insbesondere auch vertragszweckorientiert davon ausgehen, dass nicht allein das Ausmaß der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen ausschlaggebend ist. Vielmehr sei auch entscheidend, welche Auswirkungen diese Beeinträchtigungen – aus der objektiven Sicht eines verständigen Dritten – auf die Durchführung einer Reise wie der versicherten haben.

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Auch unerwartet

Zudem sei die Erkrankung der Ehefrau auch unerwartet gewesen. Bei Abschluss der Reiserücktrittskostenversicherung am 21.11.2019 sei die Erkrankung nicht im Sinne der AVB positiv bekannt gewesen. Entscheidend ist der Kenntnisstand des Versicherungsnehmers über seinen gesundheitlichen Zustand und insbesondere, welche Informationen er von seinen Ärzten erhalten hat.

Bei einem Ulkus (= Geschwür) handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Zwar wäre der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden. Dies ändere jedoch nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurfte. Nach Aussage der Hausärztin gab es zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung am 06.12.2019 noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung. Wie der Kläger und seine Frau bereits bei Versicherungsabschluss am 21.11.2019 von dem Ulkus gewusst haben könnten, erschließe sich nicht.

Erfolg in zweiter Instanz

Das Oberlandesgericht sah den Anspruch des Klägers daher als gegeben an. Die geltend gemachten Kosten seien auch in voller Höhe „nachweislich vertraglich geschuldete Rücktrittskosten“. Das Gericht hielt hierzu fest, dass Reiseveranstalter sich vorbehalten dürfen, anstelle von Entschädigungspauschalen eine höhere, individuell berechnete Entschädigung zu fordern. Dann muss jedoch nachgewiesen werden, dass wesentlich höhere Aufwendungen als die jeweils anwendbare Entschädigungspauschale entstanden sind. Die Berufung hatte somit in vollem Umfang Erfolg.

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