Der BGH hat sich mit Urteil vom 10.07.2024 erneut mit der Wirksamkeit einer Ausschlussklausel in den Versicherungsbedingungen einer Auslandsreisekrankenversicherung befasst. In dem Verfahren zum Aktenzeichen IV ZR 129/23 stritten zwei Versicherungsunternehmen um den Innenausgleich bei bestehender Mehrfachversicherung.
Darum geht es
Der Versicherte reiste am 13.11.2018 nach Miami. Zu seinen Gunsten bestehen zwei Auslandskrankenversicherungen: eine bei der Klägerin und eine weitere über die Bestellung einer Kreditkarte bei einer Bank, die einen Gruppenversicherungsvertrag bei der Beklagten auch zugunsten des Versicherten unterhält und eine Auslandsreisekrankenversicherung umfasst. Bei dem Versicherten besteht ein Diabetes Mellitus Typ 2 als bekannte Vorerkrankung. In Florida wurde er vom 6. bis zum 10. Dezember 2018 stationär behandelt. Grund dafür war eine Bakteriämie auf Basis eines Harnweginfekts und eine Entgleisung seines Diabetes.
Die Klägerin zahlte rund 34.000 EUR für die Krankenhausbehandlung und Transportkosten in Höhe von knapp 450 EUR. In den Kosten für die Krankenhausbehandlung ist auch ein Entgelt für einen sogenannten Provider in Höhe von knapp 3.400 USD enthalten. Diesen hatte die Klägerin im Rahmen der Abrechnung mit dem Krankenhaus beauftragt.
Einwände der Beklagten
Die Beklagte hat geltend gemacht, die Behandlung sei durch bereits bei Reisebuchung bestehende Erkrankungen – Diabetes und rezidivierende Harnwegsinfekte – notwendig geworden. Daher sei ihre Leistungspflicht nach den Versicherungsbedingungen (Ziffer 1.6.1 AVB) ausgeschlossen. Dort ist geregelt, dass keine Leistungspflicht besteht „bei einem bereits vorher bekannten medizinischen Zustand“. Dies gelte „insbesondere“ hinsichtlich eines medizinischen Zustandes, weswegen die versicherte Person:
„a) Während der letzten zwölf Monate einen Krankenhausaufenthalt hatte.
b) Testergebnisse erwartet oder auf der Warteliste für eine Operation, Konsultation oder Untersuchung steht.
c) Innerhalb der letzten drei Monate begonnen hat, Medikamente einzunehmen oder die Einnahme geändert oder sich in Behandlung begeben hat.
d) Alle zwölf Monate oder häufiger eine medizinische, chirurgische oder psychiatrische Untersuchung benötigt.
e) Die Diagnose „unheilbar“ und/oder „chronisch“ erhalten hat.“
Die Klägerin verlangte von der Beklagten die Hälfte der erstatteten Kosten ersetzt. Das Landgericht gab der Klage in erster Instanz statt, das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Revision.
BGH zum Innenausgleich
Der BGH hielt zunächst fest, dass die in beiden Bedingungswerken vorhandenen Subsidiaritätsklauseln einem Innenausgleich nicht im Wege stünden. Nach diesen Klauseln würden, wenn im Schadensfall eine Entschädigung aus anderen Versicherungsverträgen beansprucht werden kann, diese Leistungsverpflichtungen vorgehen. Die diesbezüglichen Regelungen der Klägerin und der Beklagten stufte der BGH als gleichwertig ein. Sie seien so auszulegen, dass sie sich gegenseitig aufheben und die gesetzliche Regelung des § 78 VVG zur Mehrfachversicherung gilt. Der Innenausgleich zwischen den Versicherern ist dort in Abs. 2 geregelt. Maßgeblich sei somit, ob sich für die Kosten ein Anspruch auf Versicherungsleistungen aus dem mit der Beklagten bestehenden Versicherungsvertrag ergab.
Anspruchsvoraussetzungen gegeben
Die Beurteilung der Erkrankung des Versicherten im Ausland als bedingungsgemäß unvorhergesehen eingetretene Erkrankung wurde beklagtenseits hingenommen.
Ausschlaggebend war die Frage, ob die Ausschlussklausel der Beklagten wirksam ist. Der BHG urteilte, dass diese gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstößt und unwirksam ist. Bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen, insbesondere bei einschränkenden Ausschlussklauseln, ist auf die Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers abzustellen. Liegt ein Gruppenversicherungsvertrag vor, so kommt es daneben auch auf die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an. Die Ausschlussklausel muss verständlich sein und die damit verbundenen Nachteile und Belastungen so weit wie möglich verdeutlichen; der Versicherte müsse den danach noch bestehenden Umfang der Versicherung erkennen können.
Welche Erkrankungen umfasst?
Vorliegend könne der Versicherte der Klausel nicht hinreichend klar entnehmen, wann die Leistungspflicht der Beklagten ausgeschlossen sein soll. Zwar werde er die Klausel noch so verstehen, dass mit dem „medizinischen Zustand“ das Bestehen von (Grund-)Erkrankungen gemeint ist. Welcher medizinische Zustand zum Leistungsausschluss führt, werde in der Klausel jedoch nicht verständlich definiert. Die illustrierenden Beispiele ermöglichten es dem Versicherten nicht, hinreichend sicher zu erkennen, welche weiteren „Zustände“ vom Leistungsausschluss erfasst sein sollen und welche nicht. Weder zur Schwere der Erkrankung noch zur Dauer würden einheitliche Voraussetzungen aufgestellt. So könne es sich um eine medikamentös behandelte, aber erstmals aufgetretene Krankheit handeln, oder auch um eine als „chronisch“ diagnostizierte.
Der Versicherte habe so keine Möglichkeit zu erkennen, welche weiteren Erkrankungen vergleichbar sind und den Leistungsausschluss auslösen können.
Unklarer Umfang des Ausschlusses
Es sei zudem auch unklar, in welchem Umfang eine erfasste Erkrankung den Versicherungsschutz ausschließt. Nach der Klausel soll „bei“ dem dort erfassten medizinischen Zustand keine Leistungspflicht bestehen. Aus dem Wortlaut ergebe sich nicht, welche Beziehung zwischen der vorher bekannten Erkrankung und dem Versicherungsfall damit erfasst werden soll. Der beabsichtigte Ausschluss von nicht mit dem bekannten „Zustand“ identischen, aber von diesem (mit-)verursachten Erkrankungen ergebe sich nicht aus dem Wortlaut. Selbst wenn der Versicherte den Sinn des Leistungsausschlusses (keine Haftung für bereits bekannte besondere Risiken) erkenne, könne er dies der Klausel nicht entnehmen. Dort sei kein Ursachenzusammenhang von bekannter (Grund-)Erkrankung und dem Versicherungsfall formuliert.
Grundsätzlich bestehe daher ein Anspruch auf Ersatz der hälftigen „reinen“ Behandlungs- und Transportkosten.
Auch Erstattungspflicht hinsichtlich Provider-Kosten?
Der Rechtsstreit könne jedoch noch nicht entschieden werden, da es an Feststellungen zu einem Aufwendungsersatzanspruch hinsichtlich des Provider-Entgelts fehle. Die Aufwendungen könne die Klägerin nicht über § 78 Abs. 2 VVG teilweise ersetzt verlangen. Nach den Versicherungsbedingungen erstattet die Beklagte nur Aufwendungen hinsichtlich einer medizinischen notwendigen Heilbehandlung im Krankheitsfall im Ausland. Die Beauftragung eines Providers bei der Abrechnung zwischen Leistungserbringer und Versicherer stehe jedoch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Heilbehandlung.
Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag
Ein Aufwendungsersatzanspruch könne hier aber aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag folgen. Eine Geschäftsführung ohne Auftrag setzt unter anderem voraus, dass der Geschäftsführer ein Geschäft „für einen anderen“ besorgt. Das ist der Fall, wenn er das Geschäft nicht (nur) als eigenes, sondern (auch) als fremdes führt, also in dem Bewusstsein und mit dem Willen, zumindest auch im Interesse eines anderen zu handeln.
In der Beauftragung des Providers zur – geglückten – Reduzierung der Krankenhauskosten über die Höhe des Entgelts hinaus sei ein objektiv auch-fremdes Geschäft zu sehen. Es fehle jedoch an Feststellungen dazu, ob die Klägerin zum Zeitpunkt der Beauftragung bereits wusste, dass auch ein Leistungsanspruch des Versicherten gegen einen anderen Versicherer bestand. Der Wille der Klägerin, ein auch-fremdes Geschäft zu führen, werde beim objektiven Vorliegen eines solchen zwar vermutet. Das Wissen um das objektiv auch-fremde Geschäft müsse jedoch festgestellt werden.
Der Bundesgerichtshof verwies die Sache daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Dabei habe das Berufungsgericht zunächst die Feststellungen zu einem etwaigen Aufwendungsersatzanspruch zu treffen.
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