Wenn die eigenen vier Wände Risse aufweisen, ist eines sicher: Das kann teuer werden! Da ist es von Vorteil, wenn solche Schäden etwa von einer Wohngebäudeversicherung erfasst werden. Doch was ist, wenn solche Risse durch nicht sinnlich wahrnehmbare Erdbewegungen verursacht werden? Kann das unter den versicherten „Erdrutsch“ fallen? Hiermit hat sich der BGH in seinem Urteil vom 9.11.2022 (Az: IV ZR 62/22) auseinandergesetzt.
Worum geht es?
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung, bei welcher auch Elementargefahren wie etwa ein Erdrutsch vom Versicherungsschutz erfasst sind. In den Versicherungsbedingungen wird der Erdrutsch als ein „naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen definiert.“ Das Haus des Klägers befindet sich an der vorderen Seite einer vor etwa 80 Jahren an einem Hang aufgeschütteten Terrasse. Im Jahr 2018 zeigte der Kläger bei der Beklagten Rissbildungen an seinem Wohnhaus und seiner Terrasse an. Die Beklagte lehnte eine Übernahme der Kosten für die Beseitigung jedoch ab.
Der Kläger behauptet, die Schäden seien auf nicht augenscheinliche Rutschungen des Untergrundes von wenigen Zentimetern pro Jahr zurückzuführen. Für die Instandsetzung der bestehenden Risse seien Kosten von 20.000,00 € zu erwarten, für die Schadensbeseitigung insgesamt etwa 100.000,00 €. Der Kläger verlangt nun unter anderem die Zahlung eines Vorschusses bezüglich der Rissinstandsetzung und die Feststellung der Erstattungspflicht der Beklagten für alle weiteren versicherten Schäden. In erster und zweiter Instanz blieb der Kläger jedoch erfolglos.
Einschätzung des Berufungsgerichts
Das Berufungsgericht teilte die Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts, dass die vom Kläger behaupteten allmählichen Erdbewegungen nicht unter den Begriff des „Erdrutsches“ fallen würden. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehe unter diesem Begriff einen sinnlich wahrnehmbaren Vorgang und nicht sich über Jahre hinziehende Erdbewegungen. Solche schleichend vorangehenden Vorgänge seien auch nicht mit dem Wortsinn des Abstürzens oder Abgleitens vereinbar. Beide Begriffe beinhalteten eine gewisse, jedenfalls sinnlich wahrnehmbare Dynamik des Geschehens. In der Geologie werde für langsame Erdbewegungen wie klägerseits beschrieben der Begriff des „Erdkriechens“ verwendet. Daraus folge, dass das „Erdkriechen“ von dem davon verschiedenen geologischen Begriff des „Erdrutsches“ nicht umfasst sei. Auch die weiteren versicherten Schäden wie etwa Überschwemmungen, Erdfall, Schneedruck und Lawinen seien deutlich wahrnehmbare Vorgänge, die sich als plötzlich auftretende Naturereignisse mit einer gewissen Dynamik vollzögen.
Keine Bestätigung durch BGH
Der BGH schloss sich dieser Ansicht jedoch nicht an. Es sei zwar umstritten, ob bei einer Klausel wie hier die versicherte Gefahr des „Erdrutsches“ auch unmerkliche, langsame Verlagerungen des Erdreichs und damit auch allmählich eintretende Schäden umfasse. Die Auslegung der Klausel aus der Sicht des durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ergebe jedoch, dass deren Anwendung nicht auf plötzliche und sinnlich wahrnehmbare Vorgänge beschränkt ist.
Der alltägliche Sprachgebrauch sei für das Verständnis einer Klausel mitausschlaggebend, nicht die Terminologie, wie sie in Fachkreisen gebraucht wird. Die Anknüpfung des Berufungsgerichts an die geologischen Begriffe „Erdkriechen“ und „Erdrutsch“ sei daher rechtsfehlerhaft erfolgt. Auf diese sei in den Versicherungsbedingungen auch nicht verwiesen worden. Nach der Definition in den Bedingungen sei unter einem „Abgleiten“ vielmehr auch ein Haftungs- oder Haltverlust und eine unbeabsichtigte Bewegung seitwärts und nach unten vom Versicherungsschutz umfasst. Ein plötzliches Ereignis werde hier nach dem Wortlaut nicht vorausgesetzt. Auch aus den weiteren Voraussetzungen der Klausel und der Verwendung des Begriffs „Erdrutsch“ ergebe sich keine Mindestgeschwindigkeit für die Erdbewegung. Dies sei für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht erkennbar.
Auch der Vergleich mit den weiteren versicherten Elementargefahren führe nicht zur Voraussetzung des plötzlichen, deutlich wahrnehmbaren Ereignisses. Vielmehr sei auch bei diesen – mit vereinzelten Ausnahmen – das Vorliegen eines plötzlichen Ereignisses vom Wortlaut her gerade nicht erforderlich.
Im Ergebnis sieht der BGH bei der Definition des Erdrutsches als etwa ein „Abgleiten“ auch allmählich eintretende Schäden als vom Versicherungsschutz umfasst an. Er hob daher das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Wenn wir mit diesem Beitrag Ihr Interesse geweckt haben, schauen Sie auch gerne in unsere weiteren Blogeinträge. Sollten Sie in einer ähnlichen Fallkonstellation selbst betroffen sein, melden Sie sich. Eine fernmündliche Ersteinschätzung seitens unseres Teams ist für Sie kostenfrei.
Wenn die eigenen vier Wände Risse aufweisen, ist eines sicher: Das kann teuer werden! Da ist es von Vorteil, wenn solche Schäden etwa von einer Wohngebäudeversicherung erfasst werden. Doch was ist, wenn solche Risse durch nicht sinnlich wahrnehmbare Erdbewegungen verursacht werden? Kann das unter den versicherten „Erdrutsch“ fallen? Hiermit hat sich der BGH in seinem Urteil vom 9.11.2022 (Az: IV ZR 62/22) auseinandergesetzt.
Worum geht es?
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung, bei welcher auch Elementargefahren wie etwa ein Erdrutsch vom Versicherungsschutz erfasst sind. In den Versicherungsbedingungen wird der Erdrutsch als ein „naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen definiert.“ Das Haus des Klägers befindet sich an der vorderen Seite einer vor etwa 80 Jahren an einem Hang aufgeschütteten Terrasse. Im Jahr 2018 zeigte der Kläger bei der Beklagten Rissbildungen an seinem Wohnhaus und seiner Terrasse an. Die Beklagte lehnte eine Übernahme der Kosten für die Beseitigung jedoch ab.
Der Kläger behauptet, die Schäden seien auf nicht augenscheinliche Rutschungen des Untergrundes von wenigen Zentimetern pro Jahr zurückzuführen. Für die Instandsetzung der bestehenden Risse seien Kosten von 20.000,00 € zu erwarten, für die Schadensbeseitigung insgesamt etwa 100.000,00 €. Der Kläger verlangt nun unter anderem die Zahlung eines Vorschusses bezüglich der Rissinstandsetzung und die Feststellung der Erstattungspflicht der Beklagten für alle weiteren versicherten Schäden. In erster und zweiter Instanz blieb der Kläger jedoch erfolglos.
Einschätzung des Berufungsgerichts
Das Berufungsgericht teilte die Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts, dass die vom Kläger behaupteten allmählichen Erdbewegungen nicht unter den Begriff des „Erdrutsches“ fallen würden. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehe unter diesem Begriff einen sinnlich wahrnehmbaren Vorgang und nicht sich über Jahre hinziehende Erdbewegungen. Solche schleichend vorangehenden Vorgänge seien auch nicht mit dem Wortsinn des Abstürzens oder Abgleitens vereinbar. Beide Begriffe beinhalteten eine gewisse, jedenfalls sinnlich wahrnehmbare Dynamik des Geschehens. In der Geologie werde für langsame Erdbewegungen wie klägerseits beschrieben der Begriff des „Erdkriechens“ verwendet. Daraus folge, dass das „Erdkriechen“ von dem davon verschiedenen geologischen Begriff des „Erdrutsches“ nicht umfasst sei. Auch die weiteren versicherten Schäden wie etwa Überschwemmungen, Erdfall, Schneedruck und Lawinen seien deutlich wahrnehmbare Vorgänge, die sich als plötzlich auftretende Naturereignisse mit einer gewissen Dynamik vollzögen.
Keine Bestätigung durch BGH
Der BGH schloss sich dieser Ansicht jedoch nicht an. Es sei zwar umstritten, ob bei einer Klausel wie hier die versicherte Gefahr des „Erdrutsches“ auch unmerkliche, langsame Verlagerungen des Erdreichs und damit auch allmählich eintretende Schäden umfasse. Die Auslegung der Klausel aus der Sicht des durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ergebe jedoch, dass deren Anwendung nicht auf plötzliche und sinnlich wahrnehmbare Vorgänge beschränkt ist.
Der alltägliche Sprachgebrauch sei für das Verständnis einer Klausel mitausschlaggebend, nicht die Terminologie, wie sie in Fachkreisen gebraucht wird. Die Anknüpfung des Berufungsgerichts an die geologischen Begriffe „Erdkriechen“ und „Erdrutsch“ sei daher rechtsfehlerhaft erfolgt. Auf diese sei in den Versicherungsbedingungen auch nicht verwiesen worden. Nach der Definition in den Bedingungen sei unter einem „Abgleiten“ vielmehr auch ein Haftungs- oder Haltverlust und eine unbeabsichtigte Bewegung seitwärts und nach unten vom Versicherungsschutz umfasst. Ein plötzliches Ereignis werde hier nach dem Wortlaut nicht vorausgesetzt. Auch aus den weiteren Voraussetzungen der Klausel und der Verwendung des Begriffs „Erdrutsch“ ergebe sich keine Mindestgeschwindigkeit für die Erdbewegung. Dies sei für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht erkennbar.
Auch der Vergleich mit den weiteren versicherten Elementargefahren führe nicht zur Voraussetzung des plötzlichen, deutlich wahrnehmbaren Ereignisses. Vielmehr sei auch bei diesen – mit vereinzelten Ausnahmen – das Vorliegen eines plötzlichen Ereignisses vom Wortlaut her gerade nicht erforderlich.
Im Ergebnis sieht der BGH bei der Definition des Erdrutsches als etwa ein „Abgleiten“ auch allmählich eintretende Schäden als vom Versicherungsschutz umfasst an. Er hob daher das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
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