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Reparatur trotz Totalschaden

Reparatur trotz Totalschaden

Regelmäßig erfolgt die Regulierung von Schadensersatzansprüchen nach Verkehrsunfällen auf der Basis eines Sachverständigengutachtens. Was aber geschieht, wenn der Sachverständige Reparaturkosten in einer Höhe prognostiziert, welche eine Reparatur unwirtschaftlich erscheinen lässt? Kann der Geschädigte den Ersatz der tatsächlichen Reparaturkosten verlangen, wenn er die Kosten nachweislich senkt und diese sich dennoch auf bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts belaufen? Diese Frage hat der BGH in seinem Urteil vom 16.11.2021 (Az: VI ZR 100/20) bejaht.

Wie kam es zum Prozess?

Das Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Verkehrsunfall am 03.02.2015 beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten steht zwischen den Parteien außer Streit. Der Kläger beauftragte vorgerichtlich einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser bezifferte die voraussichtlichen Reparaturkosten mit etwa 7.150 € brutto. Als Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs gab er 4.500 € brutto an, als Restwert 1.210 € brutto. Es handelte sich danach um einen wirtschaftlichen Totalschaden. Die Beklagte legte der vorgerichtlichen Regulierung den Wiederbeschaffungswert von 4.500 € zugrunde. Davon zog sie einen online ermittelten Restwert von 1.420 € ab, erstattete also 3.080 €.

Der Kläger ließ sein Fahrzeug durch eine Dienstleistungsgesellschaft reparieren. Dadurch entstanden ihm Kosten in Höhe von ca. 5.700 € brutto. Mit der Klage verlangte der Kläger die Differenz zwischen dem von der Beklagten gezahlten Schadensersatz und den tatsächlichen Reparaturkosten. Während des Prozesses – im September 2017 – verkaufte der Kläger sein Fahrzeug. Vor, während und nach der Reparatur wurden Fotos zur Dokumentation des Schadens und seiner Behebung angefertigt.

In der ersten Instanz sowie in der Berufung bekam der Kläger den geforderten weiteren Schadensersatz zugesprochen. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Revision.

Die 130-Prozent-Grenze

Der BGH stellte zunächst noch einmal seine Rechtsprechung zur 130-Prozent-Grenze dar. Grundsätzlich muss der Geschädigte das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten und den Weg der Schadensbeseitigung mit dem geringeren Aufwand wählen. Ausnahmsweise sind jedoch auch Reparaturkosten bis zu einer Höhe von 130 % des Wiederbeschaffungswerts ersatzfähig. Dies gilt vor dem Hintergrund des Integritätsinteresses des Geschädigten, sein gewohntes Fahrzeug weiter zu benutzen. Der Geschädigte muss in diesem Fall den Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellen, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen. Die Reparatur muss fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige seiner Kostenschätzung zugrunde gelegt hat. Andernfalls könne nicht von einer Wiederherstellung ausgegangen werden.

Schätzt der Sachverständige die Reparaturkosten auf mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswerts, ist eine Reparatur grundsätzlich als unwirtschaftlich anzusehen. Erfolgt dennoch eine Reparatur und ist die gutachterliche Schätzung zutreffend, ist der Ersatzanspruch der Höhe nach auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzt. Dieser beläuft sich auf den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts.

Angaben des Sachverständigen können widerlegt werden

Der BGH stellte in dem Urteil jedoch auch klar, dass die Angaben des Sachverständigen zu den voraussichtlichen Reparaturkosten nicht verbindlich den Betrag festlegen, den der Geschädigte als Schadensersatz fordern kann. Der Geschädigte kann diesen Angaben entgegentreten und geltend machen, der objektiv erforderliche Betrag werde nicht zutreffend angegeben. So hatte der BGH bereits früher entschieden, dass trotz geschätzter Reparaturkosten über der 130-Prozent-Grenze Geschädigte die Erstattung von Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts fordern können. Dafür müssen sie nachweisen, dass es ihnen gelungen ist, die Reparaturkosten auf die Höhe des Wiederbeschaffungswerts zu drücken. Ein merkantiler, also dem Fahrzeug auf Dauer anhaftender Minderwert wird dabei berücksichtigt.

Diese Grundsätze gelten auch für nachgewiesene niedrigere Reparaturkosten bis zu einer Höhe von 130 % des Wiederbeschaffungswerts. Bei einer günstigeren, fachgerechten Reparatur zum Zwecke der Weiternutzung des Fahrzeugs sei dem Geschädigten die „Integritätsspitze“ von 30 % zuzugestehen. Der Geschädigte könne dann Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten und des merkantilen Minderwerts verlangen. 

Fehler in der Beweiswürdigung

Im vorliegenden Fall hatte die Revision lediglich deswegen Erfolg, weil das Berufungsgericht unzulässigerweise von seiner Bindung an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ausgegangen war. Dies bezog sich vornehmlich auf die Frage, ob der gerichtliche Sachverständige die vorgenommene Reparatur als sach- und fachgerecht ansah. Dieser wies in seinem Gutachten wiederholt darauf hin, dass ihm aufgrund der Fahrzeugveräußerung nur Fotos als Begutachtungsgrundlage dienten. Dies stelle eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage dar. Die nicht hinreichend aussagekräftigen Aussagen des Sachverständigen stellten somit keine ausreichende Grundlage für die Überzeugung des Gerichts dar.

Der BGH hob das Urteil daher auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Wenn wir mit diesem Beitrag Ihr Interesse geweckt haben, schauen Sie auch gerne in unsere weiteren Blogeinträge. Sollten Sie in einer ähnlichen Fallkonstellation selbst betroffen sein, melden Sie sich. Eine fernmündliche Ersteinschätzung seitens unseres Teams ist für Sie kostenfrei.

Regelmäßig erfolgt die Regulierung von Schadensersatzansprüchen nach Verkehrsunfällen auf der Basis eines Sachverständigengutachtens. Was aber geschieht, wenn der Sachverständige Reparaturkosten in einer Höhe prognostiziert, welche eine Reparatur unwirtschaftlich erscheinen lässt? Kann der Geschädigte den Ersatz der tatsächlichen Reparaturkosten verlangen, wenn er die Kosten nachweislich senkt und diese sich dennoch auf bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts belaufen? Diese Frage hat der BGH in seinem Urteil vom 16.11.2021 (Az: VI ZR 100/20) bejaht.

Wie kam es zum Prozess?

Das Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Verkehrsunfall am 03.02.2015 beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten steht zwischen den Parteien außer Streit. Der Kläger beauftragte vorgerichtlich einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser bezifferte die voraussichtlichen Reparaturkosten mit etwa 7.150 € brutto. Als Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs gab er 4.500 € brutto an, als Restwert 1.210 € brutto. Es handelte sich danach um einen wirtschaftlichen Totalschaden. Die Beklagte legte der vorgerichtlichen Regulierung den Wiederbeschaffungswert von 4.500 € zugrunde. Davon zog sie einen online ermittelten Restwert von 1.420 € ab, erstattete also 3.080 €.

Der Kläger ließ sein Fahrzeug durch eine Dienstleistungsgesellschaft reparieren. Dadurch entstanden ihm Kosten in Höhe von ca. 5.700 € brutto. Mit der Klage verlangte der Kläger die Differenz zwischen dem von der Beklagten gezahlten Schadensersatz und den tatsächlichen Reparaturkosten. Während des Prozesses – im September 2017 – verkaufte der Kläger sein Fahrzeug. Vor, während und nach der Reparatur wurden Fotos zur Dokumentation des Schadens und seiner Behebung angefertigt.

In der ersten Instanz sowie in der Berufung bekam der Kläger den geforderten weiteren Schadensersatz zugesprochen. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Revision.

Die 130-Prozent-Grenze

Der BGH stellte zunächst noch einmal seine Rechtsprechung zur 130-Prozent-Grenze dar. Grundsätzlich muss der Geschädigte das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten und den Weg der Schadensbeseitigung mit dem geringeren Aufwand wählen. Ausnahmsweise sind jedoch auch Reparaturkosten bis zu einer Höhe von 130 % des Wiederbeschaffungswerts ersatzfähig. Dies gilt vor dem Hintergrund des Integritätsinteresses des Geschädigten, sein gewohntes Fahrzeug weiter zu benutzen. Der Geschädigte muss in diesem Fall den Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellen, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen. Die Reparatur muss fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige seiner Kostenschätzung zugrunde gelegt hat. Andernfalls könne nicht von einer Wiederherstellung ausgegangen werden.

Schätzt der Sachverständige die Reparaturkosten auf mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswerts, ist eine Reparatur grundsätzlich als unwirtschaftlich anzusehen. Erfolgt dennoch eine Reparatur und ist die gutachterliche Schätzung zutreffend, ist der Ersatzanspruch der Höhe nach auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzt. Dieser beläuft sich auf den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts.

Angaben des Sachverständigen können widerlegt werden

Der BGH stellte in dem Urteil jedoch auch klar, dass die Angaben des Sachverständigen zu den voraussichtlichen Reparaturkosten nicht verbindlich den Betrag festlegen, den der Geschädigte als Schadensersatz fordern kann. Der Geschädigte kann diesen Angaben entgegentreten und geltend machen, der objektiv erforderliche Betrag werde nicht zutreffend angegeben. So hatte der BGH bereits früher entschieden, dass trotz geschätzter Reparaturkosten über der 130-Prozent-Grenze Geschädigte die Erstattung von Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts fordern können. Dafür müssen sie nachweisen, dass es ihnen gelungen ist, die Reparaturkosten auf die Höhe des Wiederbeschaffungswerts zu drücken. Ein merkantiler, also dem Fahrzeug auf Dauer anhaftender Minderwert wird dabei berücksichtigt.

Diese Grundsätze gelten auch für nachgewiesene niedrigere Reparaturkosten bis zu einer Höhe von 130 % des Wiederbeschaffungswerts. Bei einer günstigeren, fachgerechten Reparatur zum Zwecke der Weiternutzung des Fahrzeugs sei dem Geschädigten die „Integritätsspitze“ von 30 % zuzugestehen. Der Geschädigte könne dann Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten und des merkantilen Minderwerts verlangen. 

Fehler in der Beweiswürdigung

Im vorliegenden Fall hatte die Revision lediglich deswegen Erfolg, weil das Berufungsgericht unzulässigerweise von seiner Bindung an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ausgegangen war. Dies bezog sich vornehmlich auf die Frage, ob der gerichtliche Sachverständige die vorgenommene Reparatur als sach- und fachgerecht ansah. Dieser wies in seinem Gutachten wiederholt darauf hin, dass ihm aufgrund der Fahrzeugveräußerung nur Fotos als Begutachtungsgrundlage dienten. Dies stelle eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage dar. Die nicht hinreichend aussagekräftigen Aussagen des Sachverständigen stellten somit keine ausreichende Grundlage für die Überzeugung des Gerichts dar.

Der BGH hob das Urteil daher auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Wenn wir mit diesem Beitrag Ihr Interesse geweckt haben, schauen Sie auch gerne in unsere weiteren Blogeinträge. Sollten Sie in einer ähnlichen Fallkonstellation selbst betroffen sein, melden Sie sich. Eine fernmündliche Ersteinschätzung seitens unseres Teams ist für Sie kostenfrei.

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Wie kam es zum Prozess?

Das Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Verkehrsunfall am 03.02.2015 beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten steht zwischen den Parteien außer Streit. Der Kläger beauftragte vorgerichtlich einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser bezifferte die voraussichtlichen Reparaturkosten mit etwa 7.150 € brutto. Als Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs gab er 4.500 € brutto an, als Restwert 1.210 € brutto. Es handelte sich danach um einen wirtschaftlichen Totalschaden. Die Beklagte legte der vorgerichtlichen Regulierung den Wiederbeschaffungswert von 4.500 € zugrunde. Davon zog sie einen online ermittelten Restwert von 1.420 € ab, erstattete also 3.080 €.

Der Kläger ließ sein Fahrzeug durch eine Dienstleistungsgesellschaft reparieren. Dadurch entstanden ihm Kosten in Höhe von ca. 5.700 € brutto. Mit der Klage verlangte der Kläger die Differenz zwischen dem von der Beklagten gezahlten Schadensersatz und den tatsächlichen Reparaturkosten. Während des Prozesses – im September 2017 – verkaufte der Kläger sein Fahrzeug. Vor, während und nach der Reparatur wurden Fotos zur Dokumentation des Schadens und seiner Behebung angefertigt.

In der ersten Instanz sowie in der Berufung bekam der Kläger den geforderten weiteren Schadensersatz zugesprochen. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Revision.

Die 130-Prozent-Grenze

Der BGH stellte zunächst noch einmal seine Rechtsprechung zur 130-Prozent-Grenze dar. Grundsätzlich muss der Geschädigte das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten und den Weg der Schadensbeseitigung mit dem geringeren Aufwand wählen. Ausnahmsweise sind jedoch auch Reparaturkosten bis zu einer Höhe von 130 % des Wiederbeschaffungswerts ersatzfähig. Dies gilt vor dem Hintergrund des Integritätsinteresses des Geschädigten, sein gewohntes Fahrzeug weiter zu benutzen. Der Geschädigte muss in diesem Fall den Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellen, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen. Die Reparatur muss fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige seiner Kostenschätzung zugrunde gelegt hat. Andernfalls könne nicht von einer Wiederherstellung ausgegangen werden.

Schätzt der Sachverständige die Reparaturkosten auf mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswerts, ist eine Reparatur grundsätzlich als unwirtschaftlich anzusehen. Erfolgt dennoch eine Reparatur und ist die gutachterliche Schätzung zutreffend, ist der Ersatzanspruch der Höhe nach auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzt. Dieser beläuft sich auf den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts.

Angaben des Sachverständigen können widerlegt werden

Der BGH stellte in dem Urteil jedoch auch klar, dass die Angaben des Sachverständigen zu den voraussichtlichen Reparaturkosten nicht verbindlich den Betrag festlegen, den der Geschädigte als Schadensersatz fordern kann. Der Geschädigte kann diesen Angaben entgegentreten und geltend machen, der objektiv erforderliche Betrag werde nicht zutreffend angegeben. So hatte der BGH bereits früher entschieden, dass trotz geschätzter Reparaturkosten über der 130-Prozent-Grenze Geschädigte die Erstattung von Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts fordern können. Dafür müssen sie nachweisen, dass es ihnen gelungen ist, die Reparaturkosten auf die Höhe des Wiederbeschaffungswerts zu drücken. Ein merkantiler, also dem Fahrzeug auf Dauer anhaftender Minderwert wird dabei berücksichtigt.

Diese Grundsätze gelten auch für nachgewiesene niedrigere Reparaturkosten bis zu einer Höhe von 130 % des Wiederbeschaffungswerts. Bei einer günstigeren, fachgerechten Reparatur zum Zwecke der Weiternutzung des Fahrzeugs sei dem Geschädigten die „Integritätsspitze“ von 30 % zuzugestehen. Der Geschädigte könne dann Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten und des merkantilen Minderwerts verlangen. 

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Der BGH hob das Urteil daher auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

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Regelmäßig erfolgt die Regulierung von Schadensersatzansprüchen nach Verkehrsunfällen auf der Basis eines Sachverständigengutachtens. Was aber geschieht, wenn der Sachverständige Reparaturkosten in einer Höhe prognostiziert, welche eine Reparatur unwirtschaftlich erscheinen lässt? Kann der Geschädigte den Ersatz der tatsächlichen Reparaturkosten verlangen, wenn er die Kosten nachweislich senkt und diese sich dennoch auf bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts belaufen? Diese Frage hat der BGH in seinem Urteil vom 16.11.2021 (Az: VI ZR 100/20) bejaht.

Wie kam es zum Prozess?

Das Fahrzeug des Klägers wurde bei einem Verkehrsunfall am 03.02.2015 beschädigt. Die volle Haftung der Beklagten steht zwischen den Parteien außer Streit. Der Kläger beauftragte vorgerichtlich einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser bezifferte die voraussichtlichen Reparaturkosten mit etwa 7.150 € brutto. Als Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs gab er 4.500 € brutto an, als Restwert 1.210 € brutto. Es handelte sich danach um einen wirtschaftlichen Totalschaden. Die Beklagte legte der vorgerichtlichen Regulierung den Wiederbeschaffungswert von 4.500 € zugrunde. Davon zog sie einen online ermittelten Restwert von 1.420 € ab, erstattete also 3.080 €.

Der Kläger ließ sein Fahrzeug durch eine Dienstleistungsgesellschaft reparieren. Dadurch entstanden ihm Kosten in Höhe von ca. 5.700 € brutto. Mit der Klage verlangte der Kläger die Differenz zwischen dem von der Beklagten gezahlten Schadensersatz und den tatsächlichen Reparaturkosten. Während des Prozesses – im September 2017 – verkaufte der Kläger sein Fahrzeug. Vor, während und nach der Reparatur wurden Fotos zur Dokumentation des Schadens und seiner Behebung angefertigt.

In der ersten Instanz sowie in der Berufung bekam der Kläger den geforderten weiteren Schadensersatz zugesprochen. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Revision.

Die 130-Prozent-Grenze

Der BGH stellte zunächst noch einmal seine Rechtsprechung zur 130-Prozent-Grenze dar. Grundsätzlich muss der Geschädigte das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten und den Weg der Schadensbeseitigung mit dem geringeren Aufwand wählen. Ausnahmsweise sind jedoch auch Reparaturkosten bis zu einer Höhe von 130 % des Wiederbeschaffungswerts ersatzfähig. Dies gilt vor dem Hintergrund des Integritätsinteresses des Geschädigten, sein gewohntes Fahrzeug weiter zu benutzen. Der Geschädigte muss in diesem Fall den Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellen, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen. Die Reparatur muss fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der Sachverständige seiner Kostenschätzung zugrunde gelegt hat. Andernfalls könne nicht von einer Wiederherstellung ausgegangen werden.

Schätzt der Sachverständige die Reparaturkosten auf mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswerts, ist eine Reparatur grundsätzlich als unwirtschaftlich anzusehen. Erfolgt dennoch eine Reparatur und ist die gutachterliche Schätzung zutreffend, ist der Ersatzanspruch der Höhe nach auf den Wiederbeschaffungsaufwand begrenzt. Dieser beläuft sich auf den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts.

Angaben des Sachverständigen können widerlegt werden

Der BGH stellte in dem Urteil jedoch auch klar, dass die Angaben des Sachverständigen zu den voraussichtlichen Reparaturkosten nicht verbindlich den Betrag festlegen, den der Geschädigte als Schadensersatz fordern kann. Der Geschädigte kann diesen Angaben entgegentreten und geltend machen, der objektiv erforderliche Betrag werde nicht zutreffend angegeben. So hatte der BGH bereits früher entschieden, dass trotz geschätzter Reparaturkosten über der 130-Prozent-Grenze Geschädigte die Erstattung von Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts fordern können. Dafür müssen sie nachweisen, dass es ihnen gelungen ist, die Reparaturkosten auf die Höhe des Wiederbeschaffungswerts zu drücken. Ein merkantiler, also dem Fahrzeug auf Dauer anhaftender Minderwert wird dabei berücksichtigt.

Diese Grundsätze gelten auch für nachgewiesene niedrigere Reparaturkosten bis zu einer Höhe von 130 % des Wiederbeschaffungswerts. Bei einer günstigeren, fachgerechten Reparatur zum Zwecke der Weiternutzung des Fahrzeugs sei dem Geschädigten die „Integritätsspitze“ von 30 % zuzugestehen. Der Geschädigte könne dann Ersatz der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten und des merkantilen Minderwerts verlangen. 

Fehler in der Beweiswürdigung

Im vorliegenden Fall hatte die Revision lediglich deswegen Erfolg, weil das Berufungsgericht unzulässigerweise von seiner Bindung an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ausgegangen war. Dies bezog sich vornehmlich auf die Frage, ob der gerichtliche Sachverständige die vorgenommene Reparatur als sach- und fachgerecht ansah. Dieser wies in seinem Gutachten wiederholt darauf hin, dass ihm aufgrund der Fahrzeugveräußerung nur Fotos als Begutachtungsgrundlage dienten. Dies stelle eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage dar. Die nicht hinreichend aussagekräftigen Aussagen des Sachverständigen stellten somit keine ausreichende Grundlage für die Überzeugung des Gerichts dar.

Der BGH hob das Urteil daher auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Wenn wir mit diesem Beitrag Ihr Interesse geweckt haben, schauen Sie auch gerne in unsere weiteren Blogeinträge. Sollten Sie in einer ähnlichen Fallkonstellation selbst betroffen sein, melden Sie sich. Eine fernmündliche Ersteinschätzung seitens unseres Teams ist für Sie kostenfrei.

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Erneut beschäftigen wir uns mit einem Fall, der sich um den versicherten Leitungswasserschaden dreht. Wir berichteten bereits am

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